Die GrossmütterRevolution als Teil der feministischen Bewegung

Von Heidi Witzig

Die Bewegung der GrossmütterRevolution, entstanden 2010, wird mehrheitlich getragen von Frauen, die in der Neuen Frauenbewegung ab 1968 aktiv waren und sich seither entsprechend politisch engagierten. 

Kennzeichen des Engagements junger Feministinnen ab den 1970er-Jahren waren: erstens die Propagierung eigener Geschlechternormen. Jahrhundertelang hatten führende Männer aus Kirche, Wissenschaft und Politik Frauen definiert als das «Andere», «Nicht-Männliche»: Das männliche Subjekt setzte sich als rationales, auf die heroische Tat bezogenes Wesen, Frauen galten hingegen als Wesen mit Verbindung zu Alltag, Körper und Emotionen. Wie es sich für Abspaltungen gehört (psychologisch gesprochen), verkörperten die «guten» Frauen die Sittlichkeit, Tugend und Herzensqualitäten, die veredelnd auf die Männer wirken sollten. Die «bösen» Frauen hingegen galten als von der Sexualität dominierte Wesen, die Männer mit ihren Verlockungen in Angst und Schrecken, respektive in wollüstige Verzückungen versetzen konnten. Als Ideal galt die Ergänzung eines möglichst «männlichen» rationalen Mannes durch eine möglichst «weibliche» sittliche Frau.

Die feministische Bewegung der 1970er-Jahre löste auf der Ebene der Geschlechternormen eine eigentliche kulturelle Revolution aus. Körper, Alltag und Emotionen als zentrale Kriterien für Abwertung und Ausgrenzung erfuhren eine radikale Umwertung durch die Betroffenen selbst. Wie jede Befreiungsbewegung konnotierte die Neue Frauenbewegung die patriarchalisch abgewerteten Charakteristika als positiv (Frausein ist schön, mein Bauch, mein Körper gehören mir; parallel dazu Black is Beautiful). Die feministische Bewegung bezog ihre Energie und ihre Dynamik zum grossen Teil aus der Selbstdefinition als starke, solidarische Gruppe mit einem klaren Feindbild. Sie war insofern fundamentalistisch, als sie genau werten konnte: Frauen galten als Opfer, Männer als Täter. Dies war die Basis einer sich entwickelnden blühenden Frauenkultur mit Frauengesundheitszentren, Frauenbeizen, Frauenzentren, Frauenliteratur usw.

Die Konfrontation mit Frauen aus anderen Kulturen mit anderen Diskriminierungserfahrungen war für die feministische Bewegung unserer Gesellschaft ein erster Schock. Die Erkenntnis, dass Rassen- oder Klassendiskriminierung für Frauen ebenso prägende Erfahrungen waren wie die Geschlechterdiskriminierung, rüttelte gewaltig am fundamentalistischen Anspruch der feministischen Bewegung. Besonders die Auseinandersetzung mit Angela Davis und ihrem Engagement war für diese Zeit prägend.

Zweites Kennzeichen des Engagements junger Feministinnen war die spezifische Situation in der Schweiz. Erst 1971 wurde gesamtschweizerisch das Stimm- und Wahlrecht für Frauen eingeführt – kantonal in den welschen Kantonen ab den 1960er-Jahren, in Appenzell Innerrhoden nach einem Bundesgerichtsentscheid 1990. Auf politischer Ebene findet seitdem der Kampf um die Gleichstellung im Erwerbsbereich statt (Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit), um den Einbezug des so genannten Privatbereichs der Familie in gesetzliche Regelungen (Neues Eherecht, Scheidungsrecht), und der spezifischen Frauenanliegen (Mutterschutz, Fristenlösung). Mit gesamteuropäisch starker Verspätung wurden und werden diese Anliegen auf politischer Ebene weiterhin verhandelt.

Zu den Frauen aus der feministischen Bewegung gesellten sich diejenigen aus der religiös-sozialen und aus den Anti-Atombewegungen. Die gemeinsamen Anliegen wurden also erweitert um die ganzen Aspekte, die heute unter dem neudeutschen Wort Care zusammengefasst sind: Sorge um alle Menschen und um die Natur als primäre menschliche Bestrebung. Dieses Zusammenführen von engagierten Frauen aus verschiedenen Traditionen erlebten wir als ungemein bereichernd.

In der Zeit von ökonomischer Krise und Backlash der späten 1990er-Jahre waren die Frauen dieser Generation zwischen 40 und 55 Jahre alt und hatten «ihre» Lektion gelernt. Sie waren und sind bis heute im Wesentlichen geprägt vom Willen, mindestens das Erreichte und das Bestehende zu verteidigen und zu konsolidieren. Wichtige Instrumente standen nun zur Verfügung: Institutionalisierung (Gleichstellungsbüros, Frauenbeauftragte, Opferhilfestellen usw.), Verankerung der Frauenrechte auf internationaler und NGO-Ebene (UNO-Konventionen mit nationalen Aktionsplänen, die regelmässig überprüft werden, EU-garantiertes Gender-Mainstreaming) und Aushandlungskompetenzen bei Uneinigkeiten über Ziele und Strategien.

2010 entstand die GrossmütterRevolution: Die nun im Pensionsalter stehenden alten 68erinnen formierten sich zu einer schlagkräftigen und bunten Bewegung mit einem Schatz an Erfahrungen und vielfältigsten Beziehungsnetzen. Finanziell unterstützt vom Migros-Kulturprozent konnte sie eine Projektentwicklerin anstellen, welche die verschiedensten politischen und ideellen Initiativen bündelte und logistisch unterstützte, sowie eine Vernetzung über Veranstaltungen, eine Webseite und einen Newsletter ermöglichte. Die Zusammenarbeit der erfahrenen und motivierten alten Frauen mit der Projektleiterin Anette Stade hatte in den Jahren bis 2022 auf der politischen wie auf der ideellen Ebene unübersehbare und unüberhörbare Folgen, von der Publikation zahlreicher grundlegender Recherchen zum Thema «Alte Frauen» bis zu vielfältigsten Tagungen und Demonstrationen.

Auf der politisch-strukturellen Ebene setzt sich die GrossmütterRevolution für die spezifischen Belange alter Frauen ein: Berücksichtigung der Genderperspektive und der spezifischen Bedürfnisse alter Frauen in allen Bereichen der Alters- und Gesundheitspolitik. Dazu gehört fundamental der Einbezug der materiellen Bedürfnisse armer alter Frauen. Führen wir uns vor Augen, dass Altersarmut im Wesentlichen Frauen betrifft (aufgrund tiefer Löhne, arbeitsbiografischer Brüche, schlecht oder unbezahlter Care-Arbeit), ist die Forderung nach garantierter finanzieller Unterstützung prioritär. Ferner fordern wir Massnahmen zur Sicherung von Lebensqualität und Würde im gebrechlichen und unterstützungsbedürftigen Alter bis zum Tod.

Auf der Ebene der Normen und Werte formuliert und propagiert die GrossmütterRevolution positive Botschaften zum Thema Alter. «Alte Frau» gilt in der patriarchalen Werteordnung immer noch als das Andere: Auf der positiven Seite die altersmilde Alte, die hilft und rät und Wohlwollen ausstrahlt, so lange sie kann, das sprichwörtliche Grosi. Auf der negativen Seite gilt sie als out im Sinn der idealen Ergänzung zur Männlichkeit: Nicht mehr jung, nicht mehr sexy, straff, gesund und schlank – also hoffnungslos die Letzte im Rennen. Auf diesem Klavier spielt eine wachsende Schönheits- und Kosmetikindustrie samt zugehöriger Chirurgie, die alternden Frauen den Glauben suggerieren, möglichst «immer noch akzeptabel», sprich jünger, auszusehen, um noch mithalten zu können. Dem gegenüber propagiert die GrossmütterRevolution das Entwerfen eigener, positiver Leitbilder: Wir sagen selbst, wer wir sind. In diesem Sinne hat sie 2022 auch einen Kalender gestaltet mit dem Titel: Nackte Tatsachen. Wir zeigen unsere Körper in ihrer Vielfalt: Verblüffend. Witzig. Hintergründig. Politisch. Mit der klaren öffentlichen Botschaft: Eine alte Frau zu sein, ist schön!

Ein weiterer Meilenstein, der alte Feministinnen heute begleitet: Wir sind nicht mehr allein. Feministinnen der Töchter- und besonders der Enkelinnengeneration mischen sich ein, mit ihren eigenen Themen, die sich nicht einfach mit den unsrigen decken. Auseinandersetzung mit neuen Forderungen, inklusive dem Einbezug von feministisch engagierten Männern, Fragen nach der Solidarität in der Vielfalt beschäftigen uns. Unter allen Umständen sind wir jedoch entschlossen, den nachfolgenden Generationen den Rücken zu stärken und ihnen keinesfalls in den Rücken zu fallen. In der Zusammenarbeit bei politischen und gesellschaftlichen Fragen wie auch an den zahlreichen gemeinsamen Demonstrationen fühlen wir die Kraft der Vielfalt. Und je mehr die Sorge um das Weiterexistieren der Menschheit zunimmt, desto klarer üben wir Solidaritäten verschiedenster Art mit allen Strömungen, die einstehen für eine Gesellschaft, die Care als Sorge für Menschen und Natur als Fundament des Zusammenlebens betrachtet.