Wir sind GrossmütterRevolution

Von Marie-Louise Barben*

1 Ein Anfang, ein Ende und ein Neubeginn

Wo um Göttin willen liegt denn nur Kiental?, mögen sich viele Frauen gefragt haben, als sie im Frühjahr 2010 auf die Einladung zu einer Zukunftskonferenz der GrossmütterRevolution stossen. Über 50 Frauen wagen den Weg ins Berner Oberland. Sie treffen auf eine lebendige, vielfältige Gruppe älterer Frauen, die diskutiert, lacht, plant, sich austauscht, zuhört, was ReferentInnen und Teilnehmerinnen über die Rolle der Frauen der GrossmütterGeneration zu sagen haben. Eingeladen hatte das Migros-Kulturprozent. Am Ende der zwei Tage ist klar: Das Interesse an diesem Projekt ist gross.

Im Herbst 2021 findet die letzte Matronatssitzung der GrossmütterRevolution in ihrer bisherigen Form statt. Das Migros-Kulturprozent teilt mit, dass es sich nach einer Übergangsphase im Herbst 2023 aus der Finanzierung zurückziehen wird. Der Schock sitzt tief. 

Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit zeichnen sich zwei Perspektiven ab: Einige initiative Frauen werden die GrossmütterRevolution in die Zukunft führen. 

Einige der «Frauen der ersten Stunde» schauen mit einem lachenden und einem weinenden Auge – und mit grosser Dankbarkeit – auf die letzten zwölf Jahre zurück.

Eindrücke und Meinungen

Im Mai 2022 wurden vier Fokusgespräche mit sieben bis acht Teilnehmerinnen in Bern und Zürich durchgeführt. Insgesamt dreissig Frauen nahmen daran teil. Die moderierten Gespräche wurden protokolliert und zur Sicherheit aufgenommen, jedoch nicht transkribiert. Anschliessend wurden sie anhand von Stichworten verdichtet. Sie bilden die Grundlage für diesen Text. Der Aufbau des Beitrags folgt dem Ablauf der Gruppengespräche. Deren Ziele wurden wie folgt definiert:

Was hat die GrossmütterRevolution bewirkt

  • bei dir individuell/persönlich?
  • in deinem jeweiligen Umfeld?

Was konnte die GrossmütterRevolution bewirken

  • im gesellschaftlichen Umfeld?
  • in der Öffentlichkeit?
  • in der Alterspolitik?

Die Teilnehmerinnen

Sie sind zwischen 67 und 86 Jahre alt. Mehrere von ihnen waren von Anfang an dabei und sind der GrossmütterRevolution zwölf Jahre lang treu geblieben. Andere sind etwas später dazu gestossen, einige sind heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr aktiv. Alle sind oder waren mitdenkende, mithandelnde Akteurinnen. Was ihre soziale Herkunft betrifft, gehören sie, wie die meisten Frauen der GmR, der Mittelschicht an. Sie haben eine abgeschlossene Ausbildung, waren viele Jahre berufstätig und sind finanziell weitgehend unabhängig. Sie stammen alle aus der Deutschschweiz. Ob sie biologische Grossmütter sind oder nicht, spielte weder in diesem Zusammenhang noch bei der Umsetzung und der Entwicklung des Projekts eine Rolle.

2 Der Name mobilisiert

Im Frühjahr 2010 machte das Migros-Kulturprozent auf das neue Projekt GrossmütterRevolution im Bereich Generationenbeziehungen aufmerksam und lud zu der erwähnten Zukunftskonferenz ein. Eine Gruppe von Frauen der GrossmütterGeneration mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen hatte die Grundlagen zum Projektkonzept entwickelt und den Namen gefunden. Frage an die Teilnehmerinnen an den Fokusgesprächen:

Wie, wann, wo hast du von der GrossmütterRevolution erfahren?
«Ich glaube, es war durch eine kleine Notiz in der Migros-Zeitung», sagt eine Teilnehmerin, «eine Kollegin hat mich darauf aufmerksam gemacht», eine andere. Die Frauen der ersten Stunde wurden aufmerksam auf das neue Projekt vorwiegend durch die Medien und durch Frau-zu-Frau-Propaganda. Wer davon gehört hatte, sagte es weiter.

So war es auch in meinem Fall: Im Frühjahr 2010 schickte eine Freundin mir eine Mail und einen Link: Hast du schon von der GrossmütterRevolution gehört? fragte sie. Nein, hatte ich nicht. Am gleichen Tag klickte ich auf den Link und meldete mich für die Tagung in Kiental an.

Frauen, die später dazu stiessen, wurden von einer bisherigen Teilnehmerin animiert oder gleich an eine Veranstaltung mitgenommen oder sie interessierten sich für ein bestimmtes Veranstaltungsthema und blieben dann hängen.

Das Internet spielte offenbar zum damaligen Zeitpunkt noch keine grosse Rolle für potentielle Interessentinnen. Erst in einer späteren Phase wird der Newsletter der GmR als Mobilisierungsmittel zentral.

Was hat dich bewogen mitzumachen?
Bei einer Gruppe von Frauen steht hinter dem Entscheid das Interesse an einem bestimmten Thema: Alter und Alterspolitik, Gleichstellung, Übergang Beruf-Pension, Frauenpolitik, die Geschlechterperspektive oder das Interesse, fortschrittliche Frauen kennenzulernen. Keine einzige Frau nennt ihr Grossmuttersein als Hauptgrund. 

Diskussionen um den Namen

Es liegen 30 Aussagen zu dieser Frage vor. Fünfzehn davon beziehen sich auf den Namen GrossmütterRevolution – zwei Drittel positiv, ein Drittel kritisch. Der Name ist in den Augen der Teilnehmerinnen gut, frech, faszinierend, interessant; er löst sowohl Begeisterung wie Widerstand aus; er mobilisiert, zeigt das breite Spektrum auf und lässt auf eine politische Ausrichtung schliessen. Einige fanden ihn jedoch schwierig oder ein bisschen suspekt. Er irritiert, und zwar sowohl aufgrund des Elements «Grossmütter» wie des Elements «Revolution». «Ich habe mich drei Jahre erfolglos gegen den Namen gewehrt», sagt eine Teilnehmerin, «und zwar wegen der Grossmütter». «Ich hatte Mühe mit der «Revolution» im Namen», sagt eine andere. Die Diskussion darüber, ob GrossmütterRevolution ein geeigneter Name sei, hat sich über zwölf Jahre hingezogen. Geprägt hatte ihn bereits die erwähnte Vorbereitungsgruppe. Der erste Schritt an die Öffentlichkeit geschah also bereits unter diesem Namen. 

Seither verging keine Tagung, keine Veranstaltung, ohne dass der Name im grösseren oder kleineren Kreis nicht Anlass zur Diskussion gegeben hätte. Zugegeben, der Name GrossmütterRevolution eröffnet ein Spannungsfeld: Grossmütter verweist auf die traditionelle Kernfamilie, die biologische (Gross)mutterschaft und somit auf ein traditionelles Rollenbild oder Familienverständnis. Er scheint Nichtgrossmütter oder Kinderlose auf den ersten Blick auszuschliessen. Von Anfang an richtete sich das Interesse des Projekts jedoch nicht nur auf die Zielgruppe der biologischen Grossmütter, sondern auf die Frauen der GrossmütterGeneration.

Revolution hingegen evoziert Aufbruch, Kampf, Veränderung, Umsturz. «Das sei vielen älteren Frauen zu heftig», wurde immer wieder eingebracht. Im Wort Revolution steckt aber auch das Wort Evolution. Bis jetzt tanzt das R im Signet der GmR auf der Homepage (www.grossmuetter.ch) aus der Reihe: Es ist rot und schräg. 

Der Name fällt auf. Er ist stark. Aber er spricht tatsächlich eine bestimmte Gruppe von Frauen an und eine andere weniger. Hätte das Projekt beispielsweise «Ältere Frauen brechen auf» geheissen, ich persönlich hätte mich nie und nimmer angemeldet. Namen haben immer einen Appellcharakter. Das ist bei der GmR nicht anders.


Was hast du damals von der GrossmütterRevolution erwartet?

Die Antworten auf diese Frage fielen ziemlich homogen aus (und bestätigen damit den Appellcharakter des Namens): Die beteiligten Frauen wollten sich mit ihresgleichen austauschen: nämlich mit Frauen, die etwas bewegen und sich persönlich weiterentwickeln wollen, die neugierig sind, die die Auseinandersetzung mit politischen und kulturellen Fragen suchen, die feministisch denken. Wie die Neue Frauenbewegung der 1970er, -80er-Jahre die weibliche Rollennorm verändern wollte, so war und ist es auch ein Ziel der GmR, die Rolle der älteren Frauen in der Gesellschaft aufzuwerten und auf ihren gesellschaftspolitischen Beitrag hinzuweisen. Ein neues positives Altersfrauenbild sollte entstehen. Und tatsächlich haben in den letzten zwölf Jahren mehrere Arbeitsgruppen an diesem Thema gearbeitet (Neue Frauen-Alterskultur konkret, Neue Grossmütterbilder – Enkel fotografieren ihre Grossmütter, Altersbilder heute & morgen, Kalender «Nackte Tatsachen»). «Unser Ziel ist es, neue Perspektiven für ein positives Altersbild zu entwickeln und vorzuleben», schreibt denn auch die Arbeitsgruppe «Altersbilder heute & morgen» auf der Homepage. 

3 Die GrossmütterRevolution lebt von dem, was die Frauen selber einbringen

Tagungen und Foren – die Weiterbildungsakademie der GrossmütterRevolution

Seit 2010 hat die GmR jeweils im Frühjahr zu einer Tagung und im Herbst zu einem Forum eingeladen. Nur 2020 konnten coronabedingt keine Veranstaltungen stattfinden. Die Tagung 2021 wurde online abgehalten. Im Herbst 2021 feierte die GmR ihr zehnjähriges Bestehen, das – ebenfalls coronabedingt – zu einem elfjährigen geworden war. Diese Veranstaltungen waren öffentlich und wurden in den ersten fünf Jahren neben der Ausschreibung auf der Webseite auch mit Flyern und aktiver Medienarbeit beworben. Ab dem sechsten Jahr wurden die Anlässe aber ausschliesslich über die Homepage und im Newsletter der GmR angekündigt, da mit diesen Medien die Tagungen bereits ausgebucht wurden. Sie bildeten den Rahmen der Aktivitäten der GmR. Besonders die eintägigen Herbstforen waren eine Gelegenheit für neue Frauen, die GmR kennenzulernen. Die Projektleiterin Anette Stade stellte fest, dass sich die Teilnehmerinnen jeweils in drei Gruppen einteilen liessen: 1. die «alten Häsinnen», die Frauen der ersten Stunde, 2. Frauen, die nicht regelmässig, aber doch ab und zu eine Veranstaltung besuchten, und 3. Frauen, die zum ersten Mal dabei waren. Das führte zu einer regelmässigen Blutauffrischung. Die Tagungs- und Forumsthemen gingen meist aus dem Kreis der Teilnehmerinnen hervor. An den zweitägigen Veranstaltungen haben im Durchschnitt fünfzig Frauen teilgenommen, an den eintägigen Foren hundert.

Was haben die Tagungen und Foren für dich bedeutet?
Alle Gesprächsteilnehmerinnen haben Veranstaltungen besucht, keine wohl lückenlos alle, aber alle mehrere. Sie schätzten daran die Aktualität der Themen, die oft Weiterbildungscharakter hatten, die Impulse für ihre eigene Lebens- und Alltagsgestaltung und generell die Denkanstösse. In diesem Zusammenhang spielten die drei von der Manifestgruppe herausgegebenen wissenschaftlichen Berichte zu den Themen Viertes Lebensalter, Care-Arbeit und Selbstbestimmung und Abhängigkeit [1] eine besondere Rolle, weil sie die Perspektive von Frauen im Alter einbeziehen. 

Hoch geschätzt von den Teilnehmerinnen wurde auch der anregende Austausch unter den Frauen, denn die Veranstaltungen waren nie bloss eine Abfolge von Referaten von Fachpersonen, sondern immer abwechslungsreich und partizipativ gestaltet, meist verbunden mit einem kulturellen Input.

Welche Veranstaltungen sind den Teilnehmerinnen besonders in Erinnerung geblieben? 
Zwei, die mehrmals erwähnt wurden, seien hier hervorgehoben. Einmal das Forum im Oktober 2014 auf dem Gurten bei Bern zum Thema «Würde, Selbstbestimmung, Tod und Suizid im Alter». Ein schwieriges Thema also. 125 Frauen nahmen daran teil. Ich persönlich erinnere mich an das von Cornelia Kazis sehr sorgfältig moderierte Podium mit zwei Fachfrauen aus der Medizin und den Pflegewissenschaften sowie einer alternativen Bestatterin (Fährfrau) und einer Teilnehmerin der GmR. Es war eine Mischung von Information und Erfahrungen aus der Praxis ohne Scheuklappen und ohne jeglichen moralischen Zeigfinger. Die anschliessenden Gruppengespräche waren dementsprechend intensiv und das kollektive Nachdenken über die letzten Dinge fast mit Händen zu greifen. 

Nur 45 Frauen haben am Forum mit dem Titel «Altlast oder Goldesel – kosten wir tatsächlich mehr, als wir leisten?» im November 2017 teilgenommen. Sie hatten im Vorfeld der Tagung ein Formular erhalten, in welches sie aufgrund von Anweisungen ihre freiwillig oder ehrenamtlich geleisteten Betreuungs- und Unterstützungsleistungen eintrugen. Umso mehr waren die Anwesenden am Schluss der Tagung überwältigt, als das monetäre Ergebnis ihres freiwilligen sozialen Engagements bekannt gegeben wurde: Rund 80’500 Stunden ergaben bei einem Stundenansatz von 30 CHF rund 2,4 Mio. Franken.

Die Arbeitsgruppen – das pulsierende Herz der GrossmütterRevolution

Zwölf Arbeitsgruppen sind auf der Website der GmR aufgeführt. Zehn weitere, mittlerweile abgeschlossene, entnehme ich der Zusammenstellung der Aktivitäten, welche die Projektleiterin aus Anlass des Jubiläums der GmR im Herbst 2021 erstellt hat. Das Spektrum ist breit: «Endlichkeit», «crème brûlée», «Frauenweis(s)heiten», «Clownessen», «Sexualität» oder «Kunstsalon» sind nur ein paar wenige Titel. [2]

Arbeitsgruppen in Unternehmen oder Organisationen dienen meist dazu, für eine Teilfrage Lösungen zu finden oder Entwicklungsschritte vorzuschlagen. Das war bei der GmR nicht so. Hier entstanden sie aufgrund der Eigeninitiative einer oder mehrerer interessierter Frauen, die dann Gleichgesinnte suchten. Arbeitsgruppen konnten gegründet und wieder aufgelöst werden. Bei Bedarf leistete die Projektleiterin organisatorische Unterstützung.

Gleichberechtigt, aber nicht unbedingt gleich sichtbar, existierten Arbeitsgruppen nebeneinander, die sich den Bereichen Gesellschafts- und Sozialpolitik, Kultur/Kreativität oder sozialen Aspekten des Themas Alter und Frauen zuordnen lassen. 

Praktisch alle Gesprächsteilnehmerinnen an den Fokusgesprächen sind oder waren auch Teilnehmerinnen einer oder mehrerer Arbeitsgruppen. 

Welche Bedeutung hatten die Arbeitsgruppen für die Teilnehmerinnen?
Ein Konsens ist schnell gefunden: Das Engagement in einer Arbeitsgruppe erhöht die Verbindlichkeit und die Identifizierung mit dem Gesamtprojekt GmR. Arbeitsgruppen sind aber in erster Linie Orte der Diskussion und der Auseinandersetzung. Die meisten hatten keinen Auftrag und auch nicht unbedingt ein definiertes Ziel. 

Es gab jedoch auch Gruppen, die direkt im Hinblick auf ein Ziel gebildet und bei dessen Erreichung wieder aufgelöst wurden. Beispiele dafür sind die Gruppen «Frauen*streik» oder «Nackte Tatsachen».

Hat frau sich in den Arbeitsgruppen auch gestritten? Jedenfalls gab es Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel darüber, was politisch relevant ist, oder ob und wie frau an die Öffentlichkeit treten soll. Es sei zum Teil auch schwierig gewesen, den eigenen Platz in einer Gruppe zu finden und als «Neue» Änderungen vorzuschlagen. Geschlossene Gruppen wurden als Widerspruch empfunden in einem Projekt, das sich als grundsätzlich offen erklärt.

Im Folgenden ein paar Beispiele von unterschiedlichen Arbeitsgruppen:

Die Manifestgruppe: Im September 2010 gegründet gab sie sich als erstes Ziel die Erarbeitung eines Manifests, das die Idee der GmR ausdrückt und verbreitet. Zwei Dinge gehen klar daraus hervor: Das Manifest ist vom Geist der Neuen Frauenbewegung der 1970er, -80er-Jahre geprägt. Und es macht deutlich, dass hinter der GmR nicht in erster Linie die biologischen Grossmütter stehen, sondern die Frauen der GrossmütterGeneration. Die Manifestgruppe bezeichnete sich oft selber als politischen Arm der GmR, was nicht unwidersprochen blieb. Die letzte Sitzung der Manifestgruppe fand im Frühjahr 2022 statt.

Der Kunstsalon: Unter der Leitung der Kunsthistorikerin, Dozentin und Autorin Hanna Gagel [3] versammelte sich seit 2013 mehrmals pro Jahr eine Gruppe von Frauen, die sich – jedenfalls zu Beginn – mit der Kunst von älteren Künstlerinnen befasste. Während des Fokusgesprächs definierte Hanna Gagel ihre Ziele folgendermassen: ins Bewusstsein bringen, dass Frauen schon immer kulturell aktiv waren; die Teilnehmerinnen ermutigen, sich auf den eigenen Blick zu verlassen; anhand von Bildern über verdeckte Themen/Tabus sprechen und, ganz allgemein, die Scheu gegenüber Kunst überwinden.

DOL & SOL – Dancing & Singing Old Ladies: ein Projekt der GmR zu 50 Jahren Frauenstimmrecht im Jahr 2021. Ziel war einerseits, professionelle ältere Künstlerinnen für eine Darbietung zu gewinnen und andrerseits, alte Frauen in Workshops zusammenzubringen, in denen sie singend und tanzend ihre eigenen Bilder ausdrücken können. Geplant waren mehrere öffentliche Auftritte, die coronabedingt nicht alle durchgeführt werden konnten. Im Frühjahr 2022 hat sich die Arbeitsgruppe von der GmR gelöst, führt ihre Aktivitäten jedoch weiter. [4]

Arbeitsgruppe Endlichkeit: Dies ist eine kleine, noch nicht lange existierende Gruppe, die sich einerseits über das Thema Sterben austauscht und versucht, dafür eine Sprache zu finden. Andrerseits macht sie sich Gedanken darüber, was frau im Leben tun kann, um dem Ende gelassen, furchtlos, bewusster entgegen zu gehen. Selbstredend, dass hier das Vertrauen und die Vertraulichkeit einen hohen Stellenwert haben.

4 Die Ideen der GrossmütterRevolution nach aussen tragen

Erste Medienberichte über die GmR erschienen bereits im Vorfeld der Zukunftskonferenz in Kiental und vor allem danach: Der Name GrossmütterRevolution weckte Aufmerksamkeit, Interesse und Neugier. War anfangs etwa die Rede von den neuen Grosis, die nun revoluzzen und nicht mehr mit den Enkelinnen Güezi backen wollen, so änderte sich im Laufe der Jahre der Ton. Zehn Jahre lang blieb das Interesse an der GmR hoch. In den Corona-Jahren und mit den sich ankündigenden Veränderungen ging die Aufmerksamkeit verständlicherweise zurück. 

Wie hat sich die GrossmütterRevolution in der Öffentlichkeit positioniert?

Der erste grosse öffentliche Auftritt fand am 4. Juni 2011 am Stauffacher in Zürich statt: Die gut einjährige GmR stellte eine Demo auf die Beine und präsentierte ihr GrossmütterManifest. Um die 250 ältere, bunt gekleidete, mit Trillerpfeifen versehene Frauen waren dabei. Die Polizei musste sogar die Strasse absperren.

GmR-Promis 

In der Folge wurden aktive GrossmütterRevolutionärinnen immer wieder eingeladen, das Projekt und seine Aktivitäten vorzustellen. Sie hielten Referate, sie traten im Radio, im Fernsehen, an Podien auf. Ohne hier Namen zu nennen, waren es häufig Frauen, die bereits einen Namen in der Öffentlichkeit hatten.

Die Berichte 

Die Publikation der von Elisabeth Ryter und Marie-Louise Barben verfassten Berichte «Das vierte Lebensalter ist weiblich» (2012), «Care-Arbeit unter Druck» (2015) und «Selbstbestimmung und Abhängigkeit» (2018) trugen dazu bei, dass die GmR als eine ernst zu nehmende Stimme in der Alterspolitik wahrgenommen wurde. Sie waren Thema an den Tagungen und Foren der GmR und die Autorinnen wurden auch für Referate und Workshops in anderen Organisationen eingeladen.

Newsletter und Kolumnen

Die GmR gibt von 2013 an einen eigenen periodischen Newsletter heraus, in dem sie über die Aktivitäten des Gesamtprojekts und der einzelnen Arbeitsgruppen berichtet und weitere themenrelevante Inhalte anderer Organisationen weiterleitet.

Ab 2014 hat die Arbeitsgruppe Kolumnen einen festen Platz im Grosselternmagazin und ab 2017 erscheint zehnmal jährlich der Newsletter Frauenweis(s)heiten. Letzterer porträtiert in jeder Ausgabe eine besondere alte Frau und äussert sich zu aktuellen politischen (Alters)fragen und zu Alltagserfahrungen der Schreibenden und ihres Umfelds.

Auftritte von Arbeitsgruppen

Viele der Gruppen haben oder hatten eigene Auftritte: Die Musikbands Mammutz (bis 2012) und crème brûlée (bis 2021) traten öffentlich auf, die Clownessen waren als Gruppe oder einzeln unterwegs, die DOL & SOL-Frauen singen und tanzen im öffentlichen Raum. Die Kalenderfrauen zeigen sich im Kalender «Nackte Tatsachen» für das Jahr 2022 ganz ohne Hüllen. Diese mutige Aktion löste ein starkes, überwiegend positives Echo aus und war ein grosser Erfolg. Alle Exemplare des Kalenders waren innert kurzer Zeit weg.

Aktionen im öffentlichen Raum

Schliesslich zeigen sich die GrossmütterRevolutionärinnen auch im öffentlichen Raum: an der Demo in Zürich 2011, bei der das erste Manifest der GmR verbreitet wurde, an einer spontanen Demo gegen den Gripen-Kauf auf dem Bundesplatz in Bern 2014, an einer leider verregneten Demo ebenfalls in Bern 2017 mit ihrem neuen Manifest «Das hohe Alter ist uns teuer», mit einem auffälligen Banner an der Grossdemo zu Lohngleichheit der Gewerkschaften 2018 in Bern, an einer Kleindemo nach dem Grossmütterforum 2018 in Basel und schliesslich in verschiedenen Städten mit Leib und Seele am grossen nationalen Frauenstreik 2019 – in Bern, Zürich und Luzern treten GrossmütterRevolutionärinnen als Rednerinnen auf – sowie ebenfalls am 14. Juni 2021 aus Anlass von «50 Jahre Frauenstimmrecht». 

Wie haben sich die Teilnehmerinnen an den Fokusgesprächen zur Öffentlichkeitsarbeit geäussert?

Generell sei das Thema Alter zunehmend ins Bewusstsein der Bevölkerung gedrungen, sagen sie. In den zwölf Jahren habe sich in dieser Beziehung viel verändert. Die betuliche Art, sich zu Altersfragen zu äussern, sei einer selbstbestimmten, von der Altersgruppe selbst formulierten Herangehensweise gewichen. Die geschlechtsspezifische Perspektive, die die GmR konsequent eingenommen habe, sei bis anhin viel zu oft unberücksichtigt geblieben. Die Zürcherinnen erinnern an die Kampagne der Verkehrsbetriebe, die mit ihrem Slogan «Grosi an Bord» Ärger bei den älteren weiblichen Fahrgästen hervorgerufen habe, nicht nur von der GmR: Die strickende Grosi-Figur mit grauem Dutt und altmodischem Kleid entspreche nicht der heutigen GrossmütterGeneration. Die Versächlichung – das Grosi – habe das ihre dazu beigetragen. Generell sei die GmR bekannt geworden. Vor zehn Jahren hätte frau jeweils ein erstauntes oder gar herablassendes Lächeln geerntet, wenn sie gesagt habe, sie sei aktiv in der GmR. Das sei heute nicht mehr so. Die Teilnehmerinnen sind überzeugt, dass sich die GmR auch dank ihres Namens etabliert habe. Er werde spontan einer Gruppe von politisch engagierten Frauen der GrossmütterGeneration zugeordnet.

Kritik und höfliches Desinteresse

Das war nicht überall so. Mehrere Aktivistinnen berichten, wie sie bei der Vorstellung der GmR auf Schweigen und höfliches Desinteresse gestossen seien. Das geschah vorwiegend bei einem weiblich-männlich gemischten Publikum und gipfelte in der Frage, warum denn die Grossväter ausgeschlossen seien. Eine Antwort darauf ist im Rahmen der GmR meiner Ansicht nach nicht notwendig… Schliesslich wurden die Referentinnen höflich verdankt und mit einem kleinen Geschenk entlassen.

Höhepunkte

Mit Freude, ja Enthusiasmus, erinnern sich die Teilnehmerinnen an die öffentlichen Auftritte. Viele der Akteurinnen waren bereits 1991 beim ersten Frauenstreik dabei gewesen und freuten sich, fast 30 Jahre später, den zweiten nationalen Frauenstreik 2019 mitzuerleben, manche mit Töchtern und Grosskindern. 

An den Frauenstreiks 2020 und 2021 kam noch eine neue Dimension hinzu. Die GmR-Frauen machten sich zu diesen Anlässen mit übergrossen beschrifteten Pappfiguren sichtbar. In Bern beispielsweise wurde 2021 zum Jubiläum 50 Jahre Frauenstimmrecht auf den Pappfiguren an die unendliche Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz erinnert und an die seit der Neuen Frauenbewegung ab 1968 noch unerfüllten Forderungen.

«Wir erhielten Aufmerksamkeit, Applaus und Dankbarkeit für unsere Präsenz, für unsere Arbeit, für unsere Beharrlichkeit und dafür, dass wir immer noch Teil der Bewegung sind, und dies insbesondere von jungen Frauen», erzählten mehrere Aktivistinnen. «Hoffentlich wird meine neu geborene Enkelin dereinst nicht mehr für die gleichen Anliegen kämpfen müssen wie wir», meint eine Teilnehmerin abschliessend.

Die Präsenz der GmR in der Öffentlichkeit darf sich sehen lassen. In den sozialen Medien war sie jedoch kaum aktiv. Die nächste Generation wird diese Plattform wohl aktiver bespielen.

5 Ein Minimum an Struktur?

Initiantin und Trägerin des Projekts GmR war das Migros-Kulturprozent, Abteilung Soziales. Die Projektleitung wurde einer von der Migros unabhängigen Fachfrau im Auftragsverhältnis erteilt. Ihr Auftrag entsprach ca. einem 30%-Pensum. Das Projekt war als Pilot auf drei Jahre angelegt und wurde dann mit einer Gruppe von zwölf engagierten Frauen gemeinsam evaluiert.

Die GmR war weder ein Verein, noch legte sie ein jährliches Programm auf. Frau musste bzw. konnte nicht Mitglied werden, um mitzumachen. Sie war frei, zu kommen und zu gehen. Die GmR deklarierte sich selber als «soziale Bewegung». Sie setzte auf Ideen und Eigeninitiative der Mitmachenden.

Grosszügige Unterstützung des Migros-Kulturprozent

Das MKP hat die GmR während zwölf Jahren grosszügig unterstützt, indem es die nötigen Ressourcen bereitstellte und die Initialzündung «Zukunftskonferenz» veranlasste. Von da an waren die Inhalte weitestgehend in den Händen der Teilnehmerinnen. Die Projektleiterin war die Verbindungsperson zum MKP und hütete die Interessen des Projekts. Heinz Altorfer zu Beginn und ab 2012 Jessica Schnelle haben dem MKP ein Gesicht gegeben. Sie waren praktisch an allen Veranstaltungen der GmR präsent und pflegten den Kontakt mit den Teilnehmerinnen.

 

Über die ganze Dauer des Projekts gesehen gab es zwei wichtige strukturelle Weiterentwicklungen:

Die RegioForen

Seit 2015 sind an mehreren Orten sogenannte RegioForen entstanden, zunächst in Bern, später auch in Zürich, Basel und im Oberaargau. Ein RegioForum Zentralschweiz ist in Planung. Diese lokalen Gruppen bieten mit Unterstützung der GmR Veranstaltungen, Stammtische, periodische Treffen oder eine Internet-Plattform an, wo sich interessierte Frauen austauschen können.

Mehr Mitspracherechte

Aufgrund zweier Veranstaltungen im Herbst 2016 und im Frühjahr 2017 wurden im Austausch zwischen MKP, Projektleiterin und Arbeitsgruppenvertreterinnen einige Dinge neu geregelt: Das Matronat, das bis anhin aus einem aus sechs Frauen bestehenden «Beirat» bestanden hatte, wurde zu einem Gremium ausgebaut, in welchem jede Arbeitsgruppe, jedes RegioForum eine Vertreterin delegieren konnte. Neu wurde ein jährliches Treffen von Arbeitsgruppen-Vertreterinnen ins Leben gerufen. Auch interne Abläufe wurden geklärt sowie der Umgang mit Medienanfragen geregelt. [5]

Nach dem Schock überwiegt die Dankbarkeit

Im Herbst 2021 kündigte das MKP an, dass es sich per Ende September 2022 aus der finanziellen und organisatorischen Trägerschaft zurückziehen und die strategische und operative Leitung an einen Verein abgeben möchte. Nach einer finanziellen Übergangsregelung bis Ende 2023 wird das MKP einen weiteren finanziellen Beitrag überprüfen. Die Ankündigung war zugegebenermassen ein Schock. In all den vergangenen Jahren waren sich die Teilnehmerinnen jedoch immer bewusst gewesen, dass die GmR wachsen und gedeihen konnte, weil das MKP grosszügige Ressourcen zur Verfügung gestellt hatte. Insbesondere ohne den Einsatz der Projektleiterin Anette Stade wäre die GmR nicht zu dem geworden, was sie heute ist. So überwiegt letztlich die Dankbarkeit für die ereignis- und lehrreiche sowie finanziell unbelastete Zeit, die wir Frauen im Rahmen der GmR erleben konnten. Nicht zu vergessen, dass der grosszügigen finanziellen und ideellen Unterstützung durch das MKP die unzähligen Stunden gegenüberstehen, die die aktiven Frauen in die GmR investiert und sie damit zum Laufen gebracht haben. Haben wir tatsächlich mehr gekostet, als wir geleistet und bewirkt haben?

Sind offene Strukturen und verbindliche Ziele vereinbar?

War die Struktur der GmR geeignet für dein Engagement? für die Umsetzung deiner Ideen? für die Erreichung deiner Ziele? wurden die Teilnehmerinnen gefragt. Die lebhaften Diskussionen drehten sich in den Fokusgesprächen jeweils um die folgenden zwei Themen: Um die Vor- und Nachteile von offenen Strukturen sowie um die Verbindlichkeit der geleisteten Arbeit.

Offene Strukturen setzen auf Eigeninitiative. Das gilt auch für die GmR. Wer beispielsweise eine Arbeitsgruppe gründen wollte, hatte keine bürokratischen Hürden zu überwinden. Im Gegenteil, wenn gewünscht, unterstützte die Projektleiterin das Vorhaben. Aber konnte auch jede Interessentin jederzeit einer bereits bestehenden Arbeitsgruppe beitreten? Im Prinzip schon, aber die Erfahrung zeigte, dass neue Teilnehmerinnen sich nicht überall willkommen fühlten. Der Zugang zur GmR sei zu Beginn nicht einfach gewesen, sagten einige Teilnehmerinnen explizit. Tatsächlich gab es keine ausgesprochene Willkommenskultur, andrerseits war jede Veranstaltung partizipativ gestaltet und erleichterte den Einstieg. In den Fokusgruppen kam auch die mangelnde Transparenz zur Sprache, z.B. in Bezug auf das Matronat oder auf die Manifestgruppe. Wer durfte im Matronat Einsitz nehmen? War die Manifestgruppe so etwas wie der Vorstand? Warum war die eine oder andere Arbeitsgruppe geschlossen? Informationen dazu gab es auf der Website oder sie konnten bei den «alten Häsinnen» eingeholt werden. Auch das gehört zur Eigeninitiative.

Zur Verbindlichkeit: «Sind Arbeitsgruppen Kaffeekränzchen oder wird tatsächlich Arbeit geleistet?» fragte eine Teilnehmerin in die Runde. «Ist reden, diskutieren, sich austauschen nicht auch Arbeit?», fragte eine andere prompt zurück. Das Hinarbeiten auf ein Ziel habe manchmal gefehlt oder es sei schwierig, Ziele zu erreichen, wenn niemand sie vorgebe und niemand sie kontrolliere, waren weitere Aussagen in dieser Richtung. Es ist so: Eine offene Organisation lässt viel Freiheit und setzt gleichzeitig auf das Verantwortungsbewusstsein ihrer Aktivistinnen. Die GmR bezeichnet sich als Bewegung. Eine Bewegung ist ein offenes Angebot.

Die Strukturerweiterung durch die RegioForen war in den Augen der Teilnehmerinnen eine willkommene Entwicklung, denn sie stärkte die Beziehungen vor Ort. Die Demokratisierung des Matronats und die neu eingeführten Treffen von Arbeitsgruppen-Mitgliedern wurden unterschiedlich eingeschätzt: Frauen, die in den kleinen Gremien aktiv gewesen waren, vermissten nun die Flexibilität der ehemaligen Arbeitsweise; die neuen Matronatsmitglieder hingegen freuten sich über mehr Mitspracherechte.

Die Projektleiterin – eine Möglichmacherin

Und nun folgt ein Loblied auf Anette Stade, die Projektleiterin und Geschäftsführerin. Denn die Frauen der Gesprächsrunden waren sich einig: Anette war ein Glückstreffer. Sie hatte die Fäden in der Hand und hat uns, den Aktivistinnen, den Rücken freigehalten. Anette hatte den Überblick, aber führte das Projekt mit lockeren Zügeln. Sie konnte sie aber durchaus auch anziehen, wenn sie es für nötig hielt. Anette war wertschätzend, keine «paternalistische Superwisserin», ihr «trockener Humor» kam gut an. Die Geschäftsstelle war Drehscheibe, Sekretariat, Dienstleistungszentrum in einem. Was für ein Luxus, dass Sitzungszimmer reserviert, Protokolle verfasst, Flyer gedruckt, Tagungslokale gefunden, ReferentInnen angefragt wurden und dass alles immer klappte. Herzlichen Dank gebührt damit auch ihrem Team: Kathrin Schulthess, der Fotografin, Janna Hagen, der Grafikerin, Maria Clotilde Henzen, der Protokollführerin an vielen Tagungen und Foren, Ursina Anesini, der zeitweiligen Tagungsassistentin von Anette.

Obschon Leiterin des Projekts, hat Anette sich nie in den Vordergrund gestellt. Sie hat nicht für die GrossmütterRevolutionärinnen gesprochen, sondern den Frauen ermöglicht, für sich selber zu sprechen. Sie war Moderatorin, aber auch, wie sie selber oft sagte, eine Lernende. Eine Generation jünger als wir – sie könnte unser aller Tochter sein –, lernte sie von uns viel über den Aufbruch der 68er Generation und der neuen Frauenbewegung, die in ihrer Jugend und im jungen Erwachsenenalter den Höhepunkt bereits überschritten hatten. Andrerseits war sie, zum Beispiel bei allen technischen Neuerungen, viel geübter und schneller als wir. 

Wir schliessen das Loblied hier ab, auch wenn längst nicht alles gesagt ist über Anette, aber ein Zitat noch aus einer der Gesprächsrunden, das unseren Dank und unsere Wertschätzung zusammenfasst: «Mit Anette haben wir das grosse Los gezogen». 

6 Eine Horizonterweiterung

Wir nähern uns dem Ende der Fokusgespräche. Zunächst ziehen die anwesenden Frauen eine persönliche Bilanz zu folgenden Fragen:

Was nimmst du mit von der GrossmütterRevolution? Was war dein Erkenntnisgewinn?

Eine Vielfalt von Frauen

Eine grosse Anzahl und ein breites Spektrum von Frauen kennen gelernt zu haben – Frauen, denen sie wohl sonst nie begegnet wären –, empfinden alle Teilnehmerinnen als Bereicherung. Freundschaften wurden geschlossen, die über die GmR hinaus weiter bestehen. Es sei viel Engagement und Begeisterung spürbar gewesen. Die GmR habe Frauen mit vielen Kompetenzen zusammengebracht. Es sei aber nicht um wichtige oder weniger wichtige Frauen gegangen, sondern um die Erkenntnis: Jede Frau mit ihrer Geschichte ist wichtig. 

Lebens- und Denkräume erweitert

Es waren aber die Erkenntnisse, die aus den gemeinsamen Erfahrungen hervorgingen, die zu einer Horizonterweiterung beitrugen: Frau kann auch im Alter weiterkommen, lernen, sich ernsthaft mit wichtigen Themen befassen, aktiv bleiben, Teil einer Gemeinschaft sein. Kurz: Das Alter ist nicht statisch, es ist noch vieles möglich. Und diese Erkenntnisse führen zu einer Selbstwertsteigerung, erhöhen die Selbstwirksamkeit. Engagierte Frauen fühlten sich in der GmR zuhause.

Wichtig war den Teilnehmerinnen auch, dass sich die GmR nicht nur um ihre eigene Achse drehte, sondern im Austausch war mit jüngeren Generationen und sich mit deren Anliegen solidarisierte. 
«Indem die GrossmütterGeneration mehr Wertschätzung erfährt, tritt die ‹Kränkung des Alters› in den Hintergrund», sagte eine Teilnehmerin.

Was hat die GrossmütterRevolution gesellschaftlich bewirkt?

Altersbilder sind veränderbar

Die Altersbilder haben sich in den letzten zehn Jahren verändert, vor allem differenziert. Wertschätzung und Akzeptanz gegenüber der GrossmütterGeneration haben zugenommen. Die bereits an der Zukunftskonferenz in Kiental erwähnten zwei Milliarden, der Geldwert der Leistungen, den die Grosselterngeneration gegenüber ihren Kindern und Enkel jährlich erbringt, sind ins Bewusstsein der Bevölkerung gedrungen sowie auch der hohe Anteil der Frauen an der bezahlten und der unbezahlten Care-Arbeit. Die GmR war Teil dieser Entwicklung und habe wesentlich dazu beigetragen, die Altersbilder zu verändern.

Was hat die GrossmütterRevolution geleistet, was andere Organisationen für ältere Menschen nicht leisten?

Der geschlechtsspezifische Ansatz 

Bereits in der Achtundsechziger-(Studenten)Bewegung hatte sich herausgestellt, dass sich in geschlechtergemischten Gruppen bald eine Arbeitsteilung etablierte: Mann erwartete, dass die Frauen Protokolle schreiben, Kaffee kochen, für das Wohlbefinden zuständig sind, während die Männer die Welt verändern. Eine der ersten und der wichtigsten Forderungen der Neuen Frauenbewegung der 1970er, 80er-Jahre war diejenige nach Frauenräumen. Die jungen Frauen von damals wollten ihre Fragen unter sich diskutieren, ihre eigenen Strategien festlegen. In dieser Tradition steht auch die GmR. Der geschlechtsspezifische Blick prägte auch die Publikationen der GmR. 

Wir sagen selbst, was wir wollen

Praktisch alle Inhalte der GmR sind aus den Reihen der GrossmütterRevolutionärinnen selbst hervorgegangen. Ältere Frauen haben selbstbestimmt etwas für sich und andere Frauen gemacht. «Frauenalterspolitik auf Augenhöhe» hat dies eine Teilnehmerin genannt. Frauen reden selbst, es wird nicht über sie geredet. Keine Instanz bestimmt, was für ältere Frauen gut oder richtig ist. Damit ist die GmR gut gefahren: Wir sind Expertinnen unserer selbst.

7 Hat die GmR ihre Ziele erreicht?

Aufgrund des partizipativen Ansatzes hat sich das Projekt und die Ausrichtung der verschiedenen Arbeitsgruppen in den ersten Jahren immer wieder verändert. Erst im Jahr 2015 wurde damit begonnen, systematische Grundlagen zu verfassen und in den Arbeitsgruppen zu verteilen. Im oben erwähnten Grundsatzpapier aus dem Jahr 2016 sind die Zielsetzungen formuliert, die für das MKP, die GmR und deren Arbeitsgruppen verbindlich sind:

«1) Das Projekt zeigt die heutigen, sich verändernden und vielfältigen Rollenbilder und Lebensgestaltungen der GrossmütterGeneration auf. 

2) Das Projekt und seine Arbeitsgruppen bearbeiten gesellschaftlich und/oder sozialpolitisch relevante Themen und Anliegen. 

3) Die bearbeiteten Themen und Anliegen fördern den Dialog innerhalb der Generation der Grossmütter und/oder zwischen den Generationen.»

Die folgende Selbstbeschreibung steht auf der Homepage der GmR:

«Wir sind Think Tank, Netzwerk und Plattform der heutigen GrossmütterGeneration und ein Projekt für alle Frauen, unabhängig, ob sie biologische Grossmütter sind oder nicht.

Wir verstehen uns als soziale Bewegung, die gesellschaftsrelevante Themen und Anliegen zum Alter, Frausein und Generationen aufnimmt, bearbeitet und sich dazu verlauten lässt.»

Beide Beschreibungen weisen über persönlich-individuelle Interessen der einzelnen Teilnehmerin hinaus und betonen die gesellschaftspolitische Dimension des Projekts. Die Selbstdarstellung auf der Homepage wurde anlässlich der Fokusgespräche thematisiert. Es entstand keine längere Diskussion – die Teilnehmerinnen waren sich einig, dass dieser Anspruch eingelöst wurde. Darüber hinaus: Die GmR habe sich mit ihrem emanzipatorischen und geschlechtsspezifischen Ansatz als Pionierin erwiesen und zu Fragen der älteren Frauengenerationen eine Vorbildfunktion eingenommen.

Und nun wird die GmR 2010–2022 Geschichte

Auf der Homepage der GmR gibt es eine Rubrik «Archiv», von Anette Stade aufgebaut und gepflegt. Unter den Stichworten «Projekte», «Informationen» und «Veranstaltungen» findet sich eine Fülle von Materialien: Unterlagen zu abgeschlossenen und noch laufenden Arbeitsgruppen, ausgewählte Pressestimmen, Programme, Referate, Berichte, Bildergalerien, Tondokumente von praktisch allen Veranstaltungen zwischen 2010 und 2020 – ein Erinnerungsparadies! Wenn es der GmR gelingt, wie geplant, ihre Unterlagen in geeigneter Form im Schweizerischen Sozialarchiv unterzubringen, dann kann sie stolz darauf sein.

Es geht weiter

Was möchtet ihr den Neuentwicklerinnen mit auf den Weg geben? fragten wir die Anwesenden, von denen mehrere in Zukunft nicht mehr dabei sein werden, zum Schluss. «Sie sollen die Visionen nicht aus den Augen verlieren», sagte jemand, oder: «Sie sollen am Thema Care dranbleiben». Grundsätzlich herrschte aber die Meinung vor: Wir geben keine Ratschläge, wir wünschen den mutigen neuen Frauen viel Glück und dass sie dem guten Ruf der GrossmütterRevolution weiterhin gerecht werden.

Es ist Dienstag, 14. Juni 2022, feministischer Streiktag. Ich habe mit Barbara, die mir in den letzten Jahren eine liebe Freundin geworden ist, beim Bundesplatz abgemacht. Wir machen uns auf die Suche nach den Frauen mit dem grossen GrossmütterRevolutions-Banner. 

Kathrin und Katharina sind da, Mitbegründerinnen des RegioForums Bern; Susanne und Lydia sind da, die beiden jüngsten Teilnehmerinnen an den Fokusgesprächen; Regina und Veronika sind da, zwei der Frauen, die das RegioForum Bern weiterführen werden. Gemeinsam machen wir uns auf zum langen Demo-Zug, wir alten Frauen mitten unter den vielen jungen Frauen und Mädchen.

Unser Banner fällt auf, wir bekommen viel Aufmerksamkeit, gerade von der jungen Generation. Ist das nicht ein vielversprechender Anfang für die nächste Phase der GrossmütterRevolution?

* Mein Dank geht an alle, die sich für die Fokusgespräche zur Verfügung gestellt haben, insbesondere an Elisabeth Ryter für die Protokolle der Gespräche sowie an sie und Barbara Gurtner für die kritische Lektüre dieses Berichts.

[1] Alle Berichte finden sich auf der Webseite der GmR unter «über uns/Publikationen»; genauere Angaben zu den Themen aller Veranstaltungen: siehe Time Line.

[2] Alle Arbeitsgruppen sind hier erwähnt.

[3] Hanna Gagel (2005): So viel Energie. Künstlerinnen in der dritten Lebensphase. Berlin. 

[4] Netz DOL & SOL – Dancing Old Ladies & Singing Old Ladies. Alte Feministinnen – Tanzen, Singen, Diskurs, Aktion. info@dol-sol.ch

[5] Faq zur GrossmütterRevolution, Rahmeninformationen zum Projekt bei Anfragen von neuen, interessierten Frauen, Organisationen und für Medienanfragen. November 2016.